Kip Supernova

PLANET BAAB

3D Computer Graphic Art by Kip Supernova

Temple of the Dinosaurs

Temple of the Dinosaurs

von Kip Supernova




Kapitel 1

Das Amulett seiner Großmutter hatte schon immer eine besondere Anziehungskraft auf Sandro. Es sah auf den ersten Blick aus wie eine runde Scheibe mit einem Kristall in der Mitte, doch bei näherer Betrachtung erkannte man, dass es zwei große, anmutige Tiere waren, die mit ihren langen Hälsen und ebenso langen Schwänzen ineinander verschlungen den äußeren Ring des Amuletts bildeten. In der Mitte ein weißer, geschliffener Kristall, der aussah, als würden die beiden Tiere ihn mit ihren Hälsen zwischen sich festhalten.

Sandro machte ein paar Schritte in das kleine, bescheidene Schlafzimmer seiner Großmutter, die alle im Ort nur "Basa" nannten. Warum und was dieses Wort bedeutete, wusste keiner mehr so richtig. Sandro meinte sich zu erinnern, dass Basa schon als Kind "Basa" genannt wurde, obwohl sie in Wirklichkeit Alma hieß, aber sie wurde fast nie so genannt.

Durch das halb geschlossene Fenster fiel plötzlich ein heller Sonnenstrahl direkt auf den Nachttisch neben Basa`s Bett, der daa Amulett in einem warmen, orangenen Licht aufleuchten ließ. Sandro zuckte vor Schreck zusammen, und mit klopfendem Herzen vernahm der Junge die Stimmen von den Männern, die vor Basa`s Haus auf einer Baustelle arbeiteten und scheinbar irgend ein schweres Fahrzeug, das das Sonnenlicht abgehalten hatte, weggefahren hatten.

Nach einigen Sekunden schaute Sandro verstohlen hinter sich, bevor er nach dem Amulett griff und es in die Tasche seiner kurzen, schwarzen Hose wandern ließ. Noch bevor er das Amulett in seine Hosentasche fallen ließ, hatte Sandro auch den Raum und das kleine Haus verlassen und befand sich auf der Straße. Die helle Mittagssonne blendete ihn kurz, doch er lief mit klopfendem Herzen einfach weiter in Richtung Bushaltestelle.

"Basa wird das verstehen", flüsterte er leise vor sich hin. "Sie war immer die einzige, die mich verstanden hat."

Verstohlen blickte er um sich. Wirkte er nervös? Weckte er bei den Leuten, die in der engen Gasse, wo ein Haus neben dem anderen stand, sich miteinander unterhielten, Gemüse putzten oder die Straße fegten, irgend einen Verdacht? Er wich spielenden Kindern aus und einem alten Mann, der einen Karren voller Maiskolben hinter sich herzog. Der Mann lächelte ihn freundlich an, doch Sandro verzog nur eine Miene und ging weiter auf die Bushaltestelle zu. War der Mann zu Basa unterwegs? Sandro war schon eine ganze Weile nicht mehr hier und kannte deshalb nicht alle Leute in der Straße. Was aber auch von Vorteil war, denn die Leute kannten dann bestimmt ihn auch nicht:

"Haben sie eine verdächtige Person beim Haus der Bestohlenen gesehen?"

"Nein, Officer. Nur ein Junge, etwa 14 Jahre alt, mit einem langärmligen, violetten Shirt und grünem Bandana. Sie wissen schon, wie es die Piraten im Film tragen. Ach ja, und rote Turnschuhe trug er. War sichtlich nervös der Junge ..."

"Kannten Sie den Jungen?"

"Nein, tut mir leid, Officer. Den habe ich noch nie gesehen."

Ja, so in etwa könnte sich das abspielen, dachte sich Sandro, während er in Gedanken ein mögliches Szenario durchspielte, wie es wohl ablaufen könnte, sollte Basa wirklich die Polizei rufen und diese dann die Nachbarschaft befragen.

Als er den Bus kommen sah, blitzte durch seinen Kopf aber ein möglicher weiterer Fortgang dieser Szene: Der ältere Mann mit den Maiskolben kommt dazu, und meint:

"Aber das war doch Basa´s Enkel. Ich habe ihn genau erkannt, seine Haare sind zwar etwas länger, aber er trug immer noch diese schwarze, abgewetzte Hose wie schon als kleiner Bambino. Und er hat grüne Augen, daran kann ich mich gut erinnern. Er hat früher immer Äpfel aus meinem Garten gestohlen, dieser Lümmel. Eigentlich dachte ich, er hätte mich noch gekannt; war richtig enttäuscht, dass er mich nicht gegrüßt hat. Jetzt weiß ich auch warum. Wie war gleich sein Name ..."

"Sandro ..." Und das war in Sandro´s Gedankenspiel Basa, die mit traurigem, enttäuschten Blick gerade die Erkenntnis hatte, dass ihr einziger Enkel sie um das Wertvollste bestohlen hatte, was sie jemals besessen hatte.


Im Bus setzte sich Sandro auf die hinterste Bank. Abgesehen von zwei Teenie-Mädchen, die beide mit Ohrstöpseln an ihren Smartphones hingen wie zwei Verdurstende an einem Wasserschlauch, war er alleine. Das Fahrzeug rollte los und fuhr in Richtung Mexiko Stadt, wo Sandro versuchen wollte, das Amulett zu verkaufen.

"Ich bin das Letzte.", flüsterte der Junge grimmig und seufzte.


Kapitel 2

"Und ich sage es dir nochmal", wiederholte Tabby mit zusammengekniffenen Zähnen, ganz allmählich die Geduld verlierend. "wir können die Show nicht so machen, wie du dir das vorstellst."

"Aber ich habe das schon tausend mal gemacht", erwiderte Linus. "Ich werfe die Bälle in die Luft und fange sie mit meinen Füßen wieder auf."

"Das steht aber nicht im Drehbuch, Linus. Du musst dich schon ein bisschen an das Drehbuch …"
"Papperlapapp mit Papp", unterbracht der Junge im Gauklerkostüm sie. "Das ist es, was die Leute sehen, wollen, Tab, glaub´ mir."

Obwohl sie schon seit einer geschlagenen Stunde diskutierten und deshalb die Proben für ihre Zirkus-Show unterbrechen mussten, schien Linus der Einzige zu sein, der immer noch lächeln konnte.

Tabita "Tabby" Prescot hätte sich niemals auf dieses Projekt eingelassen, hätte sie gewusst, mit was für einer Chaotentruppe sie es zu tun kriegen würde! Was tat man nicht alles, um einen Studienplatz an einer renommierten Hochschule in Neu-England zu ergattern. Und es hatte sich alles so gut angehört: Eine Reise nach Mexiko, ein kleines Zirkus-Theater Projekt in Zusammenarbeit mit der Verwaltung von Mexiko-Stadt, die für den Tourismus und die Förderung von Schulen und Bildung verantwortlich waren. Ihre Schule hatte bei einem Wettbewerb diese einmale Chance gewonnen, vor Kulissen wie die alten Stufenpyramiden in der alten Azteken-Stadt eine Zirkus-Show aufzuführen. Talentierte Mitschüler zu finden war nicht schwer, aber warum - WARUM musste sie sich breit schlagen lassen, Linus Thorwall, einen achtjährigen immer stets gut gelaunten Grundschüler für die Clowns-Nummer zu engagieren? Ja, warum wohl ...

"Wenn du dich auch bei den sozial angehauchten Lehrern ein wenig einschmeicheln willst, dann hole doch einen Grundschüler, vielleicht noch aus dem sozial schwachen Milieu ins Boot. Das schafft Symapthie-Punkte.", haben sie ihr gesagt. Gut, Linus gilt jetzt nicht als Sozialfall, seine Familie auch nicht, und allen Klischees zum Trotz ist an dem Gerücht, dass "Landkartoffeln", wie man in ihrer Gegend Bewohner von Bauernhöfen und ländlichen Siedlungen nannte, dumm und einfältig wären, wirklich nichts dran. Naja, fast nichts ...

Linus, ein stets gut gelaunter Junge mit langen, weißblonden Haaren, stand barfuß in einem knallig butem Gaukler-Kostüm vor ihr, verschränkte die Arme und sagte gleichmütig: "Ich mache das mit dem Ball-Fangen-Trick. Ich krieg´ das schon hin, glaube mir."

Tabby seufzte. "Aber das darfst du nicht, weil -"

"Es nicht in deinem Drehbuch steht?"

Sie verdrehte die Augen und sagte, ohne sich umzudrehen: "Halte du dich da raus, Patrick. Zu dir komme ich gleich."

Der rothaarige Junge mit dem grünen Stirnband lachte leise. "Das will ich doch hoffen. Warte ich doch schon seit der Junior High, dass du mal mit mir tanzen gehst."

Tabby schnitt eine Grimasse und drehte sich zu ihm um. "Da würde ich mich lieber in einer Tonne die Niagara-Fälle runterwerfen lassen."

Patrick grinste breit und grimmig, verschränkte die Arme vor seinem schwarzen T-Shirt und drehte sich leicht zur Seite, sodass man seine beiden Schwerter, die er gekreuzt auf seinem Rücken trug, sehen konnte. "Was?! Du willst jemanden, der gleich zwei scharfe Klingen hat, einen Korb geben?"

Linus stieß einen verblüfften Pfiff durch seine Zahnlücke. "Cool! Sind die Dinger neu?"

Tabby keuchte erschrocken auf. "Die sind vor allem nicht erlaubt! Steck die Dinger weg, bevor sie jemand sieht …"
"Entspanne dich." Patrick machte mit seinen Händen eine beschwichtigende Geste. "Das sind keine Echten, ich bin doch nicht lebensmüde und schmuggle Waffen nach Mexiko. Alles Requisiten natürlich. Aber die werden sich super machen, wenn ich damit meinen Schwert-Feuertanz aufführe!"

"Steht das auch nicht in deinem Drehbuch?", fragte Linus kichernd.

Tabby wollte etwas erwidern, als sie Gesellschaft von ihrem Lehrer Cal Stonewall bekamen.


Kapitel 3

Calvin Stonewall war Mitte Vierzig, hatte eine ziemlich hagere Figur und trug eine viel zu große Brille. Der Hosenträger und die rote Fliege vollendeten sein klischeehaftes Aussehen eines typischen Lehrers, der viel Zeit am Schreibtisch und Klassenzimmern verbrachte. Stonewall hatte urprünglich Archäologie und Geschichte studiert, bevor er sich entschied, eine Stelle als Lehrer an einer Junior High anzunehmen. Und wie viele andere Hochschulabsolventen, die lieber bei der NASA die nächste Mondlandung mitgestalten oder in Montana nach Dinosaurier-Fossilien graben würden, anstatt sich mit pubertierenden Teenagern herumzuschlagen, so hegte und pflegte auch Stonewall den Traum, untergegangene, ja, vielleicht sogar vergessene Kulturen und Völker zu entdecken.

Die Idee, die Theatergruppe ausgerechnet in die alte Azteken-Stadt Tenochtitlan bei Mexiko-Stadt zu begleiten, kam nicht von ungefähr: Cal Stonewall nutzte jede nur erdenkliche Gelegenheit, durch seinen Beruf - der ihm durchaus Spaß machte, keine Frage, ihn aber nicht immer erfüllte - zu nutzten, seine eigenen Wünsche zu erfüllen. Die Kids konnten ihre kleine Show planen, proben, am Abend den Touristen vorführen, ein bisschen Applaus und Lob erntern (und auch gute Noten im Zeugnis), und er konnte sich in Ruhe die Stufenpyramiden und Ruienen ansehen.

Bücher oder Videos im Internet konnten eben nicht die wahre Begegnung mit der Geschichte ersetzen - Cal genoss diese seltenen Augenblicke, die Kids hielten es für Begeisterung, die sie inspirieren sollte - doch er tat dies letztendlich nur für sich.

Nach Mexiko in die alte Azteken-Stadt Tenochtitlan zu reisen war ein lang gehegter Traum von Stonewall gewesen. Und jetzt war er Wirklichkeit geworden - und das ohne auch nur einen Cent bezahlen zu müssen, den von seinem mageren Gehalt in Kombination mit einer saftigen Miete und anderen Ausgaben hätte er sich eine private Reise nach Mexiko nicht so schnell leisten können.

Im Augenblick war es Stonewall aber unmöglich, die faszinierende Azteken-Stadt zu bewundern, denn die Kids hatten sich mal wieder in den Haaren: Tabby war ein sehr ehrgeiziges, intelligentes Mädchen, die stets wusste, was es wollte und sich in der Regel bei Gruppenarbeiten gut einbringen und auch durchsetzen konnte. Deshalb hatte Stonewall ihr die Position der Leitung der Gruppe anvertraut. An ihrer Schule war Tabby bereits im zweiten Jahr in Folge Vertrauensschülerin und immerhin stellvertretende Schulsprecherin.

Doch wie gesagt: Im Augenblick schien Tabby die Lage nicht sonderllich unter Kontrolle zu haben. Denn mit von der Partie war Patrick Taylor! Dieser Junge brachte nahezu alle Lehrer (und auch viele seiner Mitschüler) zur Verzweiflung. Patrick war klug, aber gerade dieser Umstand verschaffte ihm eine - Stonewalls Meinung nach falsche - Form des Selbstbewusstseins. Patrick war ein Macher, ein Kämpfer, der immer mit dem rothaarigen Kopf durch sämliche Wände durch wollte. Das Theater-Projekt sollte ihm die Möglichkeit geben, die Erfahrung zu machen, sich in einer Gruppe unter zu ordnen und "Regie-Anweisungen" zu folgen, gleichzeitig aber auch die Freiheit geben, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.


"FEUER??", schnappte Tabby empört. "Davon war nie die Rede, ausserdem ist das viel zu gefährlich." Sie hatte bereits vernommen, dass Mr. Stonewall aus dem kleinen Lieferwagen, mit dem sie das Equipment für ihre Aufführung vom Hotel hierher transportiert hatten, ausgestiegen und auf sie zugestapft kam. Der Lehrer, der wie eine Figur aus einem Comicheft aussah, wie Tabby fand, wirkte stets ruhig und entspannt, und das, obwohl Patrick seit ihrer Flug und der Fahrt vom Hotel zur Azteken-Stadt fast ununterbrochen seine "Ich kann alles und ich mache es einfach" - Nummer durchzog.

"Ja, es gibt ein Drehbuch", sagte Tabby an Linus gewandt, dessen Grinsen abrupt erstarb, als er erkannte, dass Tabby alles andere als gut gelaunt war. "Stell dir vor, und wir hatten es in der Schule zusammen erarbeitet und geschrieben."

"Gibt es ein Problem?", fragte Stonewall mit ruhiger, gelassener Stimme, obwohl ihm der Schweiß von der Stirn tropfte. Sie hatten einen besonders warmen, sonnigen Tag erwischt: Über 30 Grad im Schatten, doch ihr Lehrer wirkte kühl und beherrscht als wäre eeine innere Klimaanlage bei ihm in Betrieb.

"Ich weiß es nicht.", sagte Tabby und seufzte. "Ist es möglich Feuer in die Show einzubauen, Mister Stonewall?"

Patrick legte seinen Kopf überrascht zur Seite, denn damit hatte er am aller wenigsten gerechnet.

Stonewall zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und fuhr sich damit über die Stirn.

"Sorry" Er schüttelte den Kopf. "das muss bei der Verwaltung des Museums angemeldet und genehmigt werden. Ausserdem viel zu gefährlich. Ich habe euren Eltern versprochen, euch in einem Stück und gesund und munter wieder mit nach Hause zu bringen."

Der Lehrer verharrte kurz und blickte dann entschuldigend zu Patrick.

Der rothaarige Junge zuckte mit den Achseln und verschränkte die Arme. "Meine Granma wäre stolz auf Sie, danke. Und was den Schwerttanz angeht ... ich kann damit leben, ihn ohne Feuer zu machen. Ist schließlich nur eine normale Unterrichtsstunde im Freien um gute Noten zu kassieren."

Den letzten Satz über die "Guten Noten" betonte Patrick mit einer Spur Verachtung, drehte sich um und ging Richtung Bühne, wo Linus gerade dabei war, sich an Luftballon-Tieren zu versuchen.

Tabby seuftzte. "Ich ... ich weiß, es geht um seine Versetzung und so, aber ... Warum mussten Sie ausgerechnet ihn mitnehmen? Niemand kann mit Patrick arbeiten, er ist ..."

Stonewall nickte und lachte leise. "Tabitha, ich weiß. Aber er hat außer seiner Granma niemanden mehr, und wenn Patrick wieder sitzen bleibt, dann ..." Er hielt inne und erinnerte sich wieder daran, dass er Tabby´s Lehrer, nicht ihr Klassenkamerad war. Den Rest ließ er unausgesprochen; zum einen, weil er nicht darüber sprechen durfte (erst recht nicht mit einer Schülerin), und zum anderen, weil über Patrick´s Geschichte sowieso jeder Bescheid wusste.

"Machen wir das Beste daraus und ziehen es durch.", sagte Stonewall. "Du bekommst deine besondere Erwähnung und Note im Zeugnis, Patrick darf weiterhin unsere Schule besuchen, und ich kann mich ein wenig in die Welt der Azteken vertiefen."

Tabby runzelte die Stirn - aber nicht wegen Stonewalls Anspielung auf seine wahren Beweggründe, hier mit ihr und ihren Schulkameraden in Mexiko zu sein, denn das war ebenfalls bei den meisten Schülern ein unausgesprochenes Geheimnis - sondern aus einen anderen Grund. "Und was bekommt Linus?"

Stonewall lachte. "Die Gelegenheit, sich mal geplant zum Clown zu machen."



Fortsetzung folgt ...

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